Heinrich Heine - Gedichte
LII
Mir träumte wieder der alte Traum:
Es war eine Nacht im Maie,
Wir saßen unter dem Lindenbaum,
Und schwuren uns ewige Treue.
Das war ein Schwören und Schwören aufs neu,
Ein Kichern, ein Kosen, ein Küssen;
Daß ich gedenk des Schwures sei,
Hast du in die Hand mich gebissen.
O Liebchen mit den Äuglein klar!
O Liebchen schön und bissig!
Das Schwören in der Ordnung war,
Das Beißen war überflüssig.
***
LXXII
Und bist du erst mein ehlich Weib,
Dann bist du zu beneiden,
Dann lebst du in lauter Zeitvertreib,
In lauter Pläsier und Freuden.
Und wenn du schiltst und wenn du tobst,
Ich werd es geduldig leiden;
Doch wenn du meine Verse nicht lobst,
Laß ich mich von dir scheiden.
***
Morphine
Groß ist die Ähnlichkeit der beiden schönen
Jünglingsgestalten, ob der eine gleich
Viel blässer als der andre, auch viel strenger,
Fast möcht ich sagen: viel vornehmer aussieht
Als jener andre, welcher mich vertraulich
In seine Arme schloß – Wie lieblich sanft
War dann sein Lächeln und sein Blick wie selig!
Dann mocht es wohl geschehn, daß seines Hauptes
Mohnblumenkranz auch meine Stirn berührte
Und seltsam duftend allen Schmerz verscheuchte
Aus meiner Seel` – Doch solche Linderung,
Sie dauert kurze Zeit; genesen gänzlich
Kann ich nur dann, wenn seine Fackel senkt
Der andre Bruder, der so ernst und bleich. –
Gut ist der Schlaf, der Tod ist besser – freilich
Das beste wäre, nie geboren sein.
***
Wartet nur
Weil ich so ganz vorzüglich blitze,
Glaubt ihr, daß ich nicht donnern könnt!
Ihr irrt euch sehr, denn ich besitze
Gleichfalls fürs Donnern ein Talent.
Es wird sich grausenhaft bewähren,
Wenn einst erscheint der rechte Tag;
Dann sollt ihr meine Stimme hören,
Das Donnerwort, den Wetterschlag.
Gar manche Eiche wird zersplittern
An jenem Tag der wilde Sturm,
Gar mancher Palast wird erzittern
Und stürzen mancher Kirchenturm!
***
Die schlesischen Weber
Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt -
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt
Und uns wie die Hunde erschießen läßt -
Wir weben, wir weben!
Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nun gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!
***
Die engel
Freylich ein ungläub’ger Thomas
Glaub’ ich an den Himmel nicht,
Den die Kirchenlehre Romas
Und Jerusalems verspricht.
Doch die Existenz der Engel,
Die bezweifelte ich nie;
Lichtgeschöpfe sonder Mängel,
Hier auf Erden wandeln sie.
Nur, genäd’ge Frau, die Flügel
Sprech’ ich jenen Wesen ab;
Engel giebt es ohne Flügel,
Wie ich selbst gesehen hab’.
Lieblich mit den weißen Händen,
Lieblich mit dem schönen Blick
Schützen sie den Menschen, wenden
Von ihm ab das Mißgeschick.
Ihre Huld und ihre Gnaden
Trösten jeden, doch zumeist
Ihn, der doppelt qualbeladen,
Ihn, den man den Dichter heißt.
***
Vermächtniß
Nun mein Leben geht zu End’,
Mach’ ich auch mein Testament;
Christlich will ich drin bedenken
Meine Feinde mit Geschenken.
Diese würd’gen, tugendfesten
Widersacher sollen erben
All mein Siechthum und Verderben,
Meine sämmtlichen Gebresten.
Ich vermach’ Euch die Coliken,
Die den Bauch wie Zangen zwicken,
Harnbeschwerden, die perfiden
Preußischen Hämorrhoiden.
Meine Krämpfe sollt Ihr haben,
Speichelfluß und Gliederzucken,
Knochendarre in dem Rucken,
Lauter schöne Gottesgaben.
Codizill zu dem Vermächtniß:
In Vergessenheit versenken
Soll der Herr Eu’r Angedenken,
Er vertilge Eu’r Gedächtniß.
***
Wer war Heinrich Heine
Heinrich Heine – Dichter, Schriftsteller, Journalist und Denker (geb. Harry 1797; getauft Heinrich 1825; gest. Henri 1856) – war eine der faszinierendsten und widersprüchlichsten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Als Schüler des Kritikers, Übersetzers und Literaturtheoretikers August von Schlegel, des Linguisten und Sanskritologen Franz Bopp und des Philosophen Georg Hegel stieg er aus den literarischen Salons Berlins in die quirlige Pariser Metropole auf – wo er mit Balzac, Alexandre Dumas lebte , Chopin, George Sand, Berlioz , Baron de Rothschild, Théophile Gautier, Franz Liszt, Gérard de Nerval und anderen – zum ersten deutsch-jüdischen Künstler und Intellektuellen mit großer internationaler Resonanz. Er beeinflusste sowohl Karl Marx, mit dem er eng befreundet war, als auch Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud, nur noch unter den Hochburgen der Moderne zu bleiben, ein Wort, das er übrigens selbst in einem von ihnen in den Wortschatz einführte seine kaleidoskopischen Reisebilder, die ihn Mitte der 1820er Jahre berühmt machten, 1827 veröffentlichte er eine der erfolgreichsten Gedichtsammlungen des Abendlandes, das Livro das Canções, eine unerschöpfliche Quelle für Komponisten – Schubert, Schumann, Brahms, Hugo Wolf, Grieg u.v.m. – das machte ihn zu einem der musikalischsten Dichter der Geschichte: Allein das Gedicht „Du bist wie eine Blume“ erhielt 451 verschiedene Melodien! 1831 ließ er sich in Paris nieder und übernahm die Rolle eines Vermittlers zwischen der deutschen und der französischen Kultur. In Zeitungsartikeln, in denen er der deutschen Öffentlichkeit die Ereignisse der Pariser Politik, Kunst und des gesellschaftlichen Lebens erzählte, machte er bahnbrechende Beobachtungen unter anderem zu Religion und Tanz. Er richtete an die Franzosen zum Nachdenken anregende und amüsante Essays über die religiösen, philosophischen und literarischen Strömungen Deutschlands Schreckliche Früchte prophezeite er ein Jahrhundert im Voraus: „In Deutschland soll ein Drama inszeniert werden, das die Französische Revolution wie eine harmlose Idylle erscheinen lässt“. Im Jahr 1848 zwang ihn die Krankheit – die er für Syphilis hielt – die nächsten acht Jahre eingesperrt in einer „Matratzengruft“ und arbeitete unermüdlich unter steigenden Morphiumdosen. In den letzten Monaten seines Lebens fand er noch Kraft für eine platonische Affäre mit einem jungen und mysteriösen Besucher, den er Mouche (Fliege) nannte und an den er seine letzten Gedichte richtete. Er starb 1856 und wurde auf dem Friedhof von Montmartre begraben.
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